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„Wie viele von euch gibt’s eigentlich? Wenn Hochsensibilität abgewertet wird

Ich saß in einem Raum voller selbstständiger Frauen. Es war eine dieser Runden, in denen jede kurz erzählt, woran sie gerade arbeitet. Als ich an der Reihe war, sprach ich über mein Herzensprojekt: Wellness für Hochsensible. Ich erklärte, wie wichtig es ist, Räume zu schaffen, in denen wir nicht funktionieren müssen, sondern einfach nur sein dürfen, genauso wie wir sind: mit allem, was wir fühlen, was wir denken, was uns manchmal überwältigt und gleichzeitig tief verbindet.

Kaum war ich fertig, kam aus einer Ecke ein Augenrollen, ein spöttisches Lächeln und dann dieser Satz: 

Wie viele von euch gibt’s eigentlich?“

Es klang ein wenig wie „Weichei, geh zur Seite, was du sagst kann man ja nicht ernst nehmen.“

Ihr ging es nicht um Neugier oder ehrliches Interesse. Es fühlte sich an wie eine Mischung aus Belustigung und Abwertung, gewürzt mit der unterschwelligen Botschaft, dass Menschen wie ich irgendwie fehl am Platz seien.

Ich spürte, wie sich etwas in mir zusammenzog, wie mein Bauch sich verkrampfte. Nicht, weil ich nicht zu mir stand, sondern weil ich wusste: Das ist kein Einzelfall. Es passiert mir und anderen hochsensiblen Menschen in absehbarer Regelmäßigkeit. 

Dieser Artikel ist für all die Momente, in denen wir uns rechtfertigen sollen für etwas, das zu uns gehört, etwas das uns ausmacht und etwas von dem viele andere profitieren, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen. 

Er ist für alle, die hören mussten: „Stell dich nicht so an.“ und für alle, die mit einem leisen Seufzen auf Durchzug schalten, wenn mal wieder ein Anhänger des Dunning-Kruger Effekts von außen beurteilen will, wie viel oder wie wenig Sensibilität angeblich normal ist.

Er ist besonders für diejenigen, die sich fragen: Wie gehe ich damit um, wenn mein feines Wesen zur Zielscheibe wird?



Warum es so weh tut, wenn Hochsensibilität nicht ernst genommen wird

Manchmal reicht ein einziger Satz, um einen ganzen Lebensweg infrage zu stellen. Nicht, weil der Satz besonders klug, wahr oder präzise formuliert wäre, sondern weil er wie ein Echo aus früheren Zeiten wirkt. Ein Echo das aus Schulhöfen, Wohnzimmern oder Familienfeiern nachhallt, wo Sätze fielen wie „Jetzt übertreib mal nicht“ oder „Du bist schon wieder so empfindlich“. Wenn dann viele Jahre später eine fremde Frau mit halb hochgezogener Augenbraue und einem süffisanten Unterton fragt: „Wie viele gibt es eigentlich von euch?“, dann trifft das nicht nur eine Haltung, sondern manchmal auch mitten in eine alte Wunde.

In solchen Momenten spüre ich nicht nur mich, sondern viele, denen es ähnlich geht. Ich sehe Menschen vor mir, die zu lange an sich gezweifelt haben, weil sie dachten, ihre feine Wahrnehmung sei eine Schwäche oder ein Hindernis im harten Alltag. Dabei ist das Gegenteil der Fall. 

Aber bevor wir dahin kommen, lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, woher diese abwertenden Reaktionen eigentlich kommen und warum sie sich so vertraut schmerzhaft anfühlen.



Warum Hochsensibilität oft abgewertet wird – psychologische Hintergründe

Wenn jemand auf das Thema Hochsensibilität mit Spott, Überheblichkeit oder genervtem Stirnrunzeln reagiert, hat das oft mehr mit ihm selbst zu tun als mit dir. Abwertung ist selten ein Zeichen von Souveränität, sondern fast immer eine Form von Selbstschutz. Denn wer gelernt hat, Gefühle wegzudrücken, Härte mit Stärke zu verwechseln und sich in einem Leben voller Reizüberflutung durchzubeißen, der empfindet das, was hochsensible Menschen ausdrücken, schnell als bedrohlich oder irritierend. Da ist einerseits vielleicht Neid auf eine Tiefe, die man sich selbst nicht erlaubt und andererseits Angst davor, dass da etwas ins Wanken gerät, das man mühsam zusammengehalten hat.

In einer Gesellschaft, in der Effizienz, Tempo und Belastbarkeit oft als Maßstab für „richtiges Funktionieren“ gelten, wirkt das leise, differenzierte Spüren schnell wie ein Gegenentwurf, der infrage stellt, wie wir miteinander leben und arbeiten. Hochsensible erinnern mit ihrer Präsenz daran, dass nicht alles machbar ist, dass Gefühle Konsequenzen haben und dass manches langsamer geht. Das ist unbequem, aber auch heilsam und eben nicht für alle leicht auszuhalten.

Hochsensible Menschen nehmen nicht nur Geräusche, Licht oder Gerüche intensiver wahr, sie spüren auch die Zwischentöne, die unausgesprochenen Botschaften hinter den Worten. Wenn jemand etwas sagt, was auf den ersten Blick harmlos klingt, aber auf subtile Weise abwertet, spüren wir das oft sofort.

Es zeigt sich nicht als Gedanke, sondern als Gefühl im Körper: als Ziehen im Bauch, als Druck auf der Brust, als ein Enge im Hals und meistens klingt es noch lange nach.

Solche Aussagen triggern oft alte Erfahrungen. Vielleicht erinnern sie uns daran, wie es war, in der Kindheit nicht verstanden zu werden. Wie wir immer wieder versucht haben, uns zu erklären bis wir irgendwann beschlossen haben, uns lieber zurückzuziehen. Abwertung trifft uns deshalb nicht nur im Moment, sondern oft auch dort, wo etwas noch noch nicht verheilt ist. Genau deshalb ist es so wichtig, liebevoll mit sich selbst umzugehen, wenn diese alten Gefühle aufsteigen.



Mit Abwertung umgehen: Tipps für hochsensible Menschen in verletzenden Situationen

Es ist nicht deine Aufgabe, andere von deiner Hochsensibilität zu überzeugen. Schon gar nicht in Momenten, in denen du spürst, dass dein Gegenüber sich nicht auf dich einlassen will. Was du tun kannst: Bleib bei dir.

Du darfst sagen: „Ich empfinde das anders.“ Du darfst fragen: „Was genau meinst du mit euch?“ Du darfst schweigen, wenn du keine Energie für Diskussionen hast und du darfst jederzeit gehen, wenn du dich nicht sicher fühlst.

Souveränität heißt nicht, schlagfertig zu kontern oder cool zu bleiben, während innen alles bebt. Manchmal bedeutet souverän sein auch einfach: Ich lasse diesen Satz nicht an mich ran, weil ich weiß, dass er nicht zu mir gehört, sondern etwas über das Weltbild eines anderen Menschen aussagt.



Hochsensibel und nicht falsch 

Immer wenn du das Gefühl hast nicht hineinzupassen, in eine Runde, eine Arbeitskultur, eine Welt, die scheinbar nur die Lauten und Schnellen feiert, dann erinnere dich daran, dass du nicht falsch bist, sondern vielleicht einfach nur an einem Ort, an dem dein Wesen noch nicht gesehen wird. Es gibt andere Orte und andere Menschen, die dich verstehen.

Je mehr wir über Hochsensibilität sprechen, desto sichtbarer wird, wie viele von „uns“ es tatsächlich gibt. 

Ich glaube nicht, dass wir die Welt überzeugen müssen, dass Hochsensibilität wichtig ist. Aber ich glaube, dass es unsere Aufgabe ist, sichtbar zu werden. 



Was du mitnehmen darfst

Wenn du dich in diesem Artikel wiedergefunden hast, dann möchte ich dir sagen: Du bist nicht allein und du musst dich nicht kleiner machen, um anderen zu gefallen.



In Teil 2 dieses Blogartikels werde ich mich der Frage widmen, warum Hochsensibilität kein Trend, sondern eine gesellschaftliche Ressource ist und was wir alle gewinnen, wenn wir dieser Feinfühligkeit Raum geben.

Wenn du dich tiefer mit deiner eigenen Sensibilität auseinandersetzen möchtest, begleite ich dich gern in einem persönlichen Beratungsprozess. Manchmal braucht es einfach jemanden, der dich sieht, bevor du dich selbst in deiner vollen Stärke erkennen kannst.

Wenn du mehr über mein Angebot wissen willst, schau gerne auf meiner Website: www. Bewegungsintensiv.de vorbei oder schreibe mir eine Mail an: info@bewegungsintensiv.de:




 

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