· 

Ruhe als Stressfaktor: Wenn Entspannung mehr belastet als belebt

 

 

Was soll ich bloß tun? Ich fühle mich gestresst, genervt...völlig kaputt. Es fühlt sich an als würde jemand mit einer quietschenden Tafelkreide über mein Nervensystem reiben. Ich habe schon alles Mögliche probiert, aber ich komme nicht runter. Ich finde einfach keine Ruhe!“

 

Dieses Gefühl ist mittlerweile nicht nur unter Hochsensiblen ein Dauerbrenner. In meinem Umfeld erlebe ich Menschen, die überflutet sind: Es ist immer etwas los...das Leben erfordert Flexibilität, Aufmerksamkeit, Hingabe, Fürsorge, Kraft, Organisation und und und…. Der Zeitdruck ist hoch, die Anforderungen komplex. 

 

Auf Social Media überbieten sich die Menschen gegenseitig damit, was sie so alles erledigen müssen, und wer von ihnen die größte Hürde zu meistern hat, so als wäre es ein Wettbewerb, den es unbedingt zu gewinnen gilt. 

 

Jeder findet, dass sein Päckchen das Größte ist und anstatt es mal zwischendurch hinzulegen, wertet man andere ab, die mutmaßlich kleinere oder andersartige Päckchen tragen. Anstatt sich gegenseitig zu unterstützen und Mitgefühl zu zeigen, klagt man an und beleidigt.

 

Für Entspannung habe ICH keine Zeit“ oder „ICH muss jetzt einfach funktionieren“ konstatiert man und huldigt damit der Leistungsgesellschaft.

 

Wir fordern uns und andere, gehen immer einen Schritt weiter, einen Schritt höher, einen Schritt zu viel. 

Meistens merken wir es gar nicht, denn unsere Grenzen haben wir schon länger aus den Augen verloren und haben vergessen, wie sie sich anfühlen.

 

Wenn ich pausiere, lauert die Gefahr überholt zu werden, als schwach zu gelten. Das geht auf keinen Fall. Ich habe hart für diese Position gearbeitet“, höre ich in einem Workshop zum Thema Stressmanagement.

Wenn die Gedanken kreisen und du nachts nicht schlafen kannst, nimm unser natürliches Schlafmittel für eine erholsame Nacht“, propagiert die Werbung. 

 

Entspannung kann so einfach sein, oder?

 

Klar kann ich meinen Körper, einfach wegdrücken, ihn ignorieren und mir selbst vormachen, dass bei mir alles anders ist. Ich bin durchhaltefähiger, robuster, voller Energie...ich schaffe das alles. Ich bin nicht wie die anderen. 

Doch...alleine diese Gedanken zeigen dir, dass dein Limit bereits überschritten ist.

 

Jeder braucht Erholung und Pausen. Wir erlauben uns nur nicht diese zu nehmen. Wir wollen es auf gar keinen Fall zugeben, dass es bei uns auch so ist. Dabei ist es ganz natürlich. 

 

Es ist nicht schwach sondern gesund!

Es ist nicht dumm, sondern wohl überlegt.

Es gehört zum Leben dazu.

 

Nach diesem Plädoyer für Entspannung im Alltag, fragen sich mit Sicherheit einige, wie sie das anstellen sollen, wenn alles doch so voll ist, so komplett durchstrukturiert. 

Wie soll man es hinbekommen, dass man sich nicht schlecht fühlt, wenn man sich eine Pause gönnt. 

 

Das ist hier die wesentliche Frage. Denn, wenn ich verstanden habe, es akzeptiere und tief in mir fühle, dass Auszeiten und Pausen mir gut tun und ein wichtiger und wertvoller Bestandteil meines Lebens sind, dann erlaube ich sie mir auch. Plötzlich schaffe ich es meinen Tag so zu strukturieren, dass er Platz hat für eine Tasse Tee auf der Couch, für den Waldspaziergang, die Yogastunde….oder das was zu mir passt.

 

Was hat unsere Sozialisation damit zu tun?

 

Das Problem (und ich nenne es jetzt einmal ganz bewusst so) liegt in uns selbst...in unseren Glaubenssätzen...in unserer Sozialisation. 

 

Es hat sich tief in uns eingebrannt. Es klammert sich fest als gäbe es kein Morgen und zeigt uns regelmäßig den Vogel, wenn wir mit dem Gedanken spielen, einmal kürzer zu treten. „Das kann ich jetzt nicht machen“, melden sich unsere Gedanken. Dies sagen sie faktisch immer, auch dann, wenn wir es eigentlich machen könnten.

 

Was sie eigentlich meinen ist: „Ich kann doch jetzt nicht „nein“ sagen, was sollen denn die anderen denken?“

Ich kann doch jetzt nicht die Verabredung absagen, die anderen sind dann so enttäuscht.“

Ich kann mich doch jetzt nicht um mich kümmern, es gibt noch so viel zu tun.“

 Ich kann doch nicht….oder doch? Das schlechte Gewissen feiert eine Monsterparty.

 

Worum geht es eigentlich?

 

Es geht darum den Mut zu finden zu sich selbst und seinen Bedürfnissen zu stehen.

Es geht darum, dass es mir völlig egal ist, ob dies andere verstehen oder nicht, weil ich weiß, dass ich zusammenklappe, wenn ich jetzt nicht aufhöre.

Es geht darum, die eigenen Bedürfnisse wieder wahrzunehmen, ernst zu nehmen und dazu zu stehen.

Es geht um noch einiges mehr...je nach Leben, je nach Person, aber oft geht es auch um Angst. 

 

Angst, wieso das jetzt?

 

Angst ist ein mächtiges Gefühl und ein kleiner Drecksack. Sie schleicht sich von hinten an, ohne dass wir es merken und setzt sich in uns fest. Sie tut so, als sei sie der wichtigste Teil unserer Persönlichkeit, so als könnten wir ohne sie nicht leben, so als sei sie der perfekte Ratgeber für schwierige Entscheidungen.

 

Angst hat natürlich ihre Berechtigung, das ist ja völlig klar. Sie warnt uns vor gefährlichen Situationen und das ist auch gut so, damit wir nicht alle voller blindem Vertrauen in Abgründe springen. 

Doch blöderweise hat sie es sich bei vielen Menschen einfach mal gemütlich gemacht, weil sie gemerkt hat, was für eine Macht sie ausüben kann. 

 

Daher flüstert sie ganz leise: „Wenn du jetzt zuhause bleibst, wirst du richtig Ärger mit deinem Chef bekommen. Er nimmt dir deinen Auftrag weg und bei der nächsten Gelegenheit wird er dich kündigen. Dann sitzt du auf der Straße und bekommst keinen neuen Job mehr, weil du schon so alt bist. Du bist pleite und deine Frau wird dich verlassen und mit den Kindern nach Mallorca auswandern. Das alles passiert nur, weil du Weichei dich erholen wolltest. Also nimm jetzt ein fiebersenkendes Mittel und geh zur Arbeit. Das ist doch eh nur ein kleiner Schnupfen...ausruhen kannst du am Wochenende.“

 

Angst manipuliert uns, weil sie es kann, weil wir dem nichts entgegenzusetzen haben, weil wir spüren wie unser Herz pocht, wenn wir nur an die Konsequenzen denken, wie sich ein leichter Schweißfilm auf der Stirn bildet, wie wir bei dem Gedanken an die Krankmeldung schon ins Zittern kommen….weil wir uns in unserem Kopf Konsequenzen ausmalen, die so meistens niemals eintreten werden. Wir sind in diesem Moment aber felsenfest davon überzeugt und das hat Folgen für unser Handeln.

 

Ich will mich da auch gar nicht rausnehmen. Ich kenne sie auch. Sie ist ein treuer Begleiter und ich bin richtig gut darin Horrorszenarien aus ungelegten Eiern zu inszenieren.

Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich es geschafft hatte der Angst zu trotzen, Erholung in meinen Alltag einzubauen, und meine Bedürfnisse wahrzunehmen. 

 

Das soll jetzt Entspannung sein? 

 

Nee, das ist einfach nur die Übertragung und Umsetzung der alten Muster auf ein neues Gebiet: Ausruhen, zu sich selbst finden, Pause machen….puhh, das kann ganz schön anstrengend sein. Ab jetzt entspanne ich mal so richtig: Jeden Tag spazieren gehen an der frischen Luft, zwischendurch Kaffeepause, wöchentlich ein Buch lesen, eine Yogastunde für den Rücken und auf jeden Fall zwischendurch so richtig tief durchatmen. Das ist dann aber auch nötig, bei all dem Entspannungsstress. 

 

Ich will jetzt auch gar nicht behaupten, dass ich immer danach handele und alles voll im Griff habe. Sagen wir es einmal so: ich werde immer besser und besser darin, mir Ruhepausen zu gönnen, auf meinen Körper zu hören, „nein“ zu sagen. 

Es sind kleine Schritte: einen Schritt zu mir, einen Schritt zurück, einen Schritt weniger.

Irgendwann habe ich verstanden, dass es einfacher ist, wenn ich den Druck rausnehme und zwar nicht aus all den täglichen Anforderungen, sondern aus der Notwendigkeit mich entspannen zu müssen. Denn dieser Druck fühlt sich genauso an, wie der ganze andere Stress, den ich vorher schon kannte. 

 

Aber wie soll Entspannung denn sonst gehen?

 

Weniger ist mehr...daher habe ich mit kleinen Schritten angefangen.

Zuerst habe ich mich damit beschäftigt, was mir Spaß macht und mir richtig gut tut.

 

In meinem Fall ist das Laufen. Daher begann ich damit zur Arbeit zu laufen. Der einfache Weg dauerte 20 Minuten. Ich konnte in der Zeit durchpusten, Luft schnappen und die Gedanken baumeln lassen. So war ich deutlich ruhiger als ich ankam und konnte gelassener in den Arbeitstag starten.

Nach einer Weile begann ich auch zurück zu laufen. Dies war für mich der perfekte Abschluss. Nun war mir ganzheitlich klar: Es ist Feierabend.

Das hat für mich gut geklappt und sich etabliert. Was genau klappt ist jedoch für jeden anders.

 

Spaß und Entspannung

 

Für mich ist Spaß dabei der entscheidende Faktor. Ich habe es auch immer mal wieder mit Fahrradfahren versucht. Das nervt und stresst mich jedoch noch mehr und bringt mich daher eher hoch.

 

Was ich dir sagen will...suche dir etwas, was dir Spaß macht. Wenn du nicht weißt, was das sein könnte, denke mal daran, was du als Kind gerne gemacht hast oder probiere Dinge aus: Auf YouTube findest du Entspannungsvideos, Yoga, sanfte Bewegung... in unterschiedlicher Länge. Probiere aus, was du magst.

 

Was ist, wenn die Stille zur Bedrohung wird?

 

Ich will auf gar keinen Fall Ruhe...dann geht es erst so richtig los. Dann kommen die schlimmen Gedanken alle wieder hoch.“

 

Wenn du dies bei dir spürst ist es ein absolutes Alarmzeichen. Du ballerst deinen Tag, deine Woche, dein Leben so richtig voll, damit du auf keinen Fall ins Nachdenken und Nachspüren kommst.

Ruhe und Entspannung sind dir ein absolutes Dorn im Auge, Zeit für dich nimmst du dir am besten nie und das alles, weil du weißt, dass dadurch deine Lebensthemen, deine Belastungen, deine Herausforderungen an die Oberfläche gespült werden.

All die mühevoll unterdrückten Gefühle und Gedanken treten gnadenlos hervor und lösen in dir Unbehagen und Ängste aus.

 

Du weißt, dass dich das überwältigt, überfordert, traurig macht und du weißt nicht, wie du damit umgehen sollst. Du fühlst dich ausgeliefert, schwach und hilflos und nichts hat bisher geholfen. Daher darfst du niemals stillstehen. Du musst immerzu rotieren. 

 

Dein Körper schreit dich zwischendurch an, weil er sich nach Ruhe sehnt und insgeheim tust du das eigentlich auch...denn du spürst deine Erschöpfung und du spürst, dass sich etwas ändern muss, aber du weißt nicht wie. 

 

Was dann?

 

Es ist ganz wichtig, dass du dir professionelle Hilfe suchst!! Das meine ich wirklich ernst und es liegt mir sehr am Herzen, dir das mitzugeben.

Ein erster Schritt kann sein, dass du eine Psychotherapie machst, um deine Themen anzugehen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

Psychotherapeuten in deiner Stadt findest du unter www.therapie.de

 

Auch wenn es dir jetzt vielleicht komisch vorkommt kann es dennoch helfen, Entspannungstechniken wie Progressive Muskelentspannung zu lernen, oder Achtsamkeit zu praktizieren. So reduzierst du deine innere Unruhe und kannst in Momenten der Stille positive Erfahrungen machen und sie mit dem Thema Entspannung verknüpfen.

 

Wenn du mehr zu diesem Thema wissen willst oder eine Beratung wünschst, schreibe mir eine Mail an: info@bewegungsintensiv.de

 

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast diesen Beitrag zu lesen.

 

Genieße den Moment und pass gut auf dich auf,

Sandra

Kommentar schreiben

Kommentare: 0