Das Yogasutra nach Patanjali

 

 

 

„Wer nach außen schaut träumt, wer nach innen schaut erwacht.“ (C. G. Jung)

 

1. Das Yogasutra - Was ist das?

Das Praktizieren von Yoga und die Beschäftigung mit der dahinterstehenden Lehre bringt interessierte Yogis fast automatisch mit dem Yogasutra von Patanjali in Berührung. Es vermittelt die Essenz des gesamten Yogawissens und macht deutlich, dass Yoga viel mehr ist, als das Praktizieren der Asanas und Atemübungen auf der Matte. Yoga kann für unseren heutigen hektischen Alltag eine große Bereicherung sein, da es uns einlädt, den eigenen inneren Raum der Ruhe und Klarheit zu finden. Die Innensicht auf uns selbst eröffnet bestenfalls den Weg zu höchster Erkenntnis darüber, was im Leben wirklich Sinn macht. Das Beste daran ist, dass man diese Erkenntnisse durch seine eigenen Erfahrungen auf der Yogamatte und im Alltag erlangen kann. 

 

In Patanjalis Werk ist das gesamte Wissen seiner Zeit systematisch zusammengefasst. Das Yogasutra wurde vielfach übersetzt und interpretiert. In meinem folgenden Text beziehe ich mich im Schwerpunkt auf das Buch von S.Sriram (Patanjali- Das Yogasutra: Von der Erkenntnis zur Befreiung) und ergänze seine Interpretation durch die Übersetzung und den Kommentar von Atma Shakti (Das Yogasutra nach Patanjali: Wie Du die Essenz des Yogas in Deinen Alltag integrierst).

Das Augemerk liegt auf Patanjalis achtgliedriger Pfad. Er bildet die Grundessenz des Yogasutra. Er zeigt uns damit einen Weg zu innerem Frieden und Gelassenheit. 

Die ersten beiden Glieder des achtfachen Pfades (Yamas und Niyamas) bilden aus yogischer Sicht die Basis zum Erkennen des eigenen Weges. Das Erkennen ist nur dann möglich, wenn man im Einklang mit diesen beiden Stufen steht. Yamas uns Niyamas sind (…) „universelle ethische Prinzipien, die unabhängig von Religion, Abstammung und Kulturzugehörigkeit gelten. Sie möchten dir neue Perspektiven und neue Blickwinkel auf die Dinge des Lebens zeigen.“ (vgl. denisebachmann.de/yogaphilosophie-im-alltag-leben/)

 

 

 

2. Das Yoga Sutra – Historie und Bedeutung

Das Yogasutra gilt als einer der bedeutendsten Grundlagentexte der Yogalehre. 

Das Wort „Yoga“ entstammt der Wortwurzel „yui“, welche „anbinden“ bedeutet. Anbindung meint im Sinne des Yogasutra einen Zustand „in dem der Mensch frei von jeglichen flüchtigen Überzeugungen mit der für ihn innigsten Wirklichkeit verbunden ist, und andererseits die Schritte, die helfen, diesem Zustand näher zu kommen.“ (S.Sriram, Yogasutra, S. 14)

Das „Sutra“ (wörtlich Faden) ist eine Dichtungsform des Sanskrit. „Es ist der Leitfaden der Yoga – Praxis, auf den sich fast alle Yoga- Traditionen beziehen“. (vgl. Anna Trökes: Die kleine Yoga Philosophie, S. 167) Es vereint das Wissen seiner Zeit in Form einer Kompilation. Die einzelnen Sätze (Sutras) stehen in enger Verbindung zueinander und müssen in einem Gesamtkontext betrachtet werden. 

Die zentrale Idee des Yogasutras ist es, das meinende, denkende Selbst zu erforschen und zu verstehen. Es geht darum, was die Menschen mit ihrem Geist (Citta) tun.

Das Yogasutra entstand vermutlich vor etwa 2000 Jahren und geht auf den Gelehrten Patanjali zurück. Es besteht aus 195 Sutras (Sätzen) eingeteilt in vier Kapitel:

 

1. Kapitel: Samadhi Pada – Die vollkommene Erkenntnis

„Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des Citta (des meinenden Selbst) in eine dynamische Stille übergehen.“ (S. Sriram – Das Yogasutra, Sure 1.2). Der Geist kann unterschiedliche Qualitäten annehmen, die jeweils einen entsprechenden Einfluß auf die Menschen ausüben. Patanjali gibt konkrete Hinweise darauf, wie der Mensch zu einer klaren Wahrnehmung kommt, und welche Hindernisse dabei erfahren werden können. 

Durch die Balance zwischen beharrlichem Üben (Abhyasa) und Gleichmut (Vairagya) gelangt der Mensch zu einer klaren Wahrnehmung. Um Ziele zu verfolgen, bedarf es einer inneren Vertrauensquelle (Sraddha), die wiederum durch die Anbindung an Isvara (das Göttliche) gestärkt wird. Diese Anbindung gelingt dem Yogi durch Meditation. 

Auf diesem Weg finden sich laut Patanjali neun hauptsächliche Hindernisse (Antarayas), die den Menschen davon abhalten können, seine Fähigkeiten zu entfalten, und damit sein Ziel zu erreichen: Krankheit (Vyadhi), Trägheit (Styana), Zweifel (Samsaya), Hast (Pramada), Faulheit (Alasya), Abgelenktheit (Avirati), Fehleinschätzung (Bhrantidarsana), fehlende Zielstrebigkeit (Alabdhabhumikatva) und Unbeständigkeit (Anavasthitatva).

Diese Hindernisse verursachen Leid (Dukrha), können aber mit Heilmitteln, die auf einem Gleichgewicht aus beharrlichem Üben und Gleichmut basieren, überwunden werden. Das Yogasutra nennt sechs Möglichkeiten der Heilung:

  • Die Inspiration durch eine weise Person
  • Die Konzentration auf eine langsame, tiefe und klärende Atmung - Pranayama
  • Die Konzentration auf eine innere Lichtquelle, die immer vorhanden ist - Jyotismati
  • Die Besinnung auf die vier wesentlichen Gefühle: Liebe (Maitri), Mitempfinden (Karuna), Enthusiasmus (Mudita) und Vergeben (Upeksa)
  • Die meditative Kontemplation: Die fortwährende Ausrichtung des Geistes auf ein und dasselbe Thema oder Objekt
  • Die Reflektion über Träume und über den Tiefschlaf hinsichtlich einer tieferen Einkehr

 

 

2. Kapitel: Sadhana Pada – Die Übung

In diesem Kapitel wird Yoga als Übungsweg beschrieben. „Fast jede Tätigkeit kann eine läuternde Wirkung auf uns haben und dadurch allmählich zu Yoga führen“ (R. Sriram- Das Yogasutra, S. 84). Wichtig ist die innere Haltung, mit der eine Tätigkeit ausgeführt wird. Patanjali nennt diese Form des Yoga: Kriya Yoga – Yoga des Handelns.

Entscheidend sind drei Qualitäten mit denen die Aktivität einhergeht: Leidenschaft (Tapas), Vernunft (Svadhyaya) und Hingabe (Isvarapranidhana). Führen wir alle Tätigkeiten, zudem mit Sorgfalt, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit aus, führt die daraus entstehende geistige Klarheit dazu, dass belastende und tief sitzende störenden Kräfte (Klesas), die unser Denken und Handeln beeinflussen, abgebaut werden.

 

Das Yogasutra gibt acht Übungsglieder vor, die auf allen Ebenen (körperlich, organisch, emotional und mental) von der Last der Erinnerung und von triebhaftem Verhalten befreien. Die ersten fünf Übungsglieder (Yama, Niyama, Asana, Pranayama und Pratyahara) stelle ich im nächsten Blockbeitrag näher vor.

 

 

3. Kapitel: Vibhuti-Pada: Die ungewöhnlichen Ergebnisse

Das dritte Kapitel stellt zu Beginn die fehlenden drei Übungsglieder (Dharana, Dhyana und Samadhi) des achtfachen Pfades vor. Zur Ausführung dieser Glieder werden bei den Yogaschüler*innen bereits fortgeschrittene Erfahrungen vorausgesetzt. Sie bauen auf die ersten fünf Übungsglieder auf. Sie bilden zudem die Bestandteile von Samyama, der Versenkung.

Im Anschluss beschreibt das Yogasutra die drei Stadien des Wandels hin zu Samyama:

Nirodha - Parinama: der Wandel, der durch Sammlung gekennzeichnet ist

Samadhi - Parinama: Erst hier können die tiefen Erkenntnisse des Samadhi gewonnen werden.

Ekagrata – Parinama: Vollkommene Versenkung 

 

 

4. Kapitel: Kaivalya-Pada: Die Befreiung

Das letzte Kapitel des Yogasutra beschäftigt sich mit den Merkmalen einer nachhaltigen positiven Veränderung unserer Persönlichkeit. Dies erfordert die Bereitschaft, sich auf allen Ebenen zu verändern. Der eigentliche Yogi ist, wer den Weg der Versenkung gegangen ist: „Die Handlungen des Yogi sind weder schwarz noch weiß“. (Sutre 4.7) Sein Tun ist absichtslos. 

Ein weiteres Mal kommt Patanjali auf die Wirkung der Klesas zu sprechen, die uns immer wieder dazu verleiten, in alte Muster zurückzufallen. Entscheidend ist die Wahrnehmung der Dinge und diese unterliegt dem Zusammenwirken der Grundeigenschaften (Guna). Sie bestehen aus: Rajas, der Kraft, die nach vorne oder aufwärts treibt, Tamas, der Kraft, die nach hinten oder abwärts treibt und Sattva, der Kraft, die das Gleichgewicht hält und keiner anderen Kraft die Oberhand gewährt. 

Unsere Wahrnehmungen sind subjektiv und mit der Ausrichtung unseres Geistes veränderbar, d.h. das gleiche Thema kann sich in unterschiedlicher Manier präsentieren.

Der Begriff Yoga und der damit verbundene Zustand wird durch den Autor als „yogash citta vritti nirodha“ definiert. Dies wird in den meisten Traditionen übersetzt mit: „Yoga ist das zur Ruhe kommen (nirodha) der Aktivitäten (vritti) des Geistes (citta)“ (vgl. Trökes, S. 169). „Yoga ist die Erkenntnis, die entsteht, wenn unsere geistigen Aktivitäten still und ausgeglichen sind. Immer dann, wenn diese geistigen Aktivitäten nicht in einem stillen Gleichgewicht sind, verfärben sie unsere Erkenntnisse.“ (R. Sriram - Das Yogasutra, Sure 2.1))

Nach Atma Shakti steht das Wort „chitta“ das dem „vritti“ vorausgeht für „das Wesen“ und „den Gedanken“, welche laut Shakti bei den meisten Menschen verhüllt seien, „so dass sie die Welt und ihre Umgebung wie durch einen Schleier betrachten und auch sich selbst nicht wahrnehmen.“ (…) „Für real dagegen hält der Mensch, alles was ihm durch den Kopf geht. Diese Momentaufnahmen und Gedankenimpulse machen die tiefere Reflexion unmöglich.“ Yoga ist ein Weg diese Gedanken und Impulse unter Kontrolle zu bringen. (vgl. Atma Shakti – Das Yogasutra nach Patanjali, S. 21)

 

 

 

 

 

 

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